Valentin Krasnogorov
Hoffnung auf Übermorgen
Aus dem
Russischen von Renata Lange
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Vorwort des Verfasser
Einige Kritiker haben nicht an
scharfen Worten gegen „Hoffnung auf Übermorgen“ gespart, weil sie glauben,
darin den Beweis für die Unfähigkeit des Autors in Sachen Dramaturgie
erkannt zu haben. In dem Stück gibt
es nur zwei handelnde Personen- ER und Sie- und selbst bei ihnen sind, nach Meinung der Kritiker, die Charaktere nicht umrissen. Ja, wer und was ist Er eigentlich? Ingenieur,
Arbeiter, Arzt? Wofür interessiert er sich? Hat er Kinder? Was für
ein Mensch ist er?
Und wer oder was ist SIE. ?
Bibliothekarin, oder Lehrerin? Was ist mit ihrer Mutter? Wie ist ihr
Verhältnis zueinander? Was für
ein Mensch ist ihr Bräutigam? Wie alt sind die handelnden Personen des
Stückes? Welchen Lebensweg hatten sie? Wo sind die “Fältchen und Furchen“, durch die
sich die Menschen voneinander unterscheiden und die ihnen ihren Charakter und ihre Individualität verleihen? Auf
diese Fragen gibt es keine Antwort. Wir kennen sogar ihre Namen nicht. Einfach
nur: ER und Sie.
Und was für eine Sprache
ist das? Kurze abgehackte Erwiderungen, ein steriler, kurzatmiger Dialog, frei
von Einzelheiten und umgangssprachlicher
Färbung, einfachste Worte ohne
hervorstechende literarische Schönheit und sogar ohne die üblichen
Wendungen eines alltäglichen Gesprächs. Nicht selten besteht eine
Erwiderung nur aus einem Wort. Und welche Position hat der Autor? Mit wem hat
er Mitleid? Wen verurteilt er? Und ist das überhaupt ein Stück oder
nur eine Konzept, ein Entwurf, ein Skelett ohne Fleisch und Blut? Wie Puschkin
sagte:“Der Reiz der nackten Einfachheit und außerdem für uns
unverständlich“..
Diese Kritik wäre
berechtigt, wenn es sich um ein traditionelles lebensnahes Theaterstück
handelte. Jedoch „Hoffnung auf Übermorgen“ beruht auf einer anderen
Grundlage. Das Prinzip dieses Stückes ist: sich freimachen von allem
Überflüssigen, um das Wichtigste auszudrücken und um dem
Schauspieler die Möglichkeit zu geben und die Pflicht aufzuerlegen, durch
seine Handlung und sein Spiel das auszudrücken, was in den Worten liegt
(wenn es auch, oberflächlich betrachtet, nicht immer offen zutage tritt.).
Das Wichtigste besteht in
folgendem: Zwei Menschen haben sich ineinander verliebt und stehen
plötzlich vor der Notwendigkeit,
sofort Entscheidungen zu treffen, die für sie lebenswichtig sind.
Die Unausweichlichkeit dieser Entscheidung macht ihnen Angst, ihre Nerven
stehen vor einer Zerreißprobe. Sie tasten sich mit unbedeutenden Worten
an die Einstellung des Gegenübers heran, sie tun so, als ob zwischen ihnen
nichts von Bedeutung vor sich geht, nichts, weswegen man sein Leben um 180°
verändern müsste. Noch trauen sie ihrem eigenen Gefühl nicht und
erst recht nicht dem Gefühl des anderen. Jeder wartet, dass der andere den
entscheidenden Schritt tut, sie fordern sich gegenseitig zu einer solchen
Entscheidung heraus und schrecken selbst vor ihr zurück. Doch der
entscheidende Augenblick kommt unausweichlich näher....
Sind wir zu einer solchen Tat
fähig oder würden wir den anderen und uns selbst verraten? Wer hat
noch nie eine solche Wahl treffen müssen?
Das Stück beginnt wie eine
leichtlebige Komödie. Aber nach einigen scheinbar bedeutungslosen
Wortwechseln befinden sich die Helden plötzlich in einer ausweglosen, fast
tragischen Situation. Der Dramatische Knoten verquickt sich unbemerkt für
den Zuschauer und für die Helden selbst. Die Simplizität und
Wortkargheit machen die Aufgabe der Schauspieler nicht leichter, sondern
erschweren sie unermesslich. Die geringe Anzahl der Worte soll den
Schauspielern „Luft“ verschaffen, denn sprechen ist einfacher als spielen. Doch
die Bedingungen dieses Spiels werden ausschließlich durch den Dialog
vorgegeben.
Ein Beispiel: Die Heldin sagt
die Worte: „Soll ich es mal anziehen?“ (Es handelt sich um das Brautkleid.). In
diesen einfachen Worten stecken die Freude der jungen Frau, in dem
wunderschönen Brautkleid zu erscheinen und der Wunsch, sich darin dem
Geliebten zu zeigen, aber auch der Versuch, ihn zu einer Erklärung zu
veranlassen, die Schuld, dass das Kleid für die Hochzeit mit einem anderen
bestimmt ist, der Schmerz, dass es für die Hochzeit mit einem Ungeliebten
angezogen werden muss sowie der Versuch, alles so darzustellen, als ob diese
Anprobe für sie beide nicht von Bedeutung sei...
“Hoffnung
auf Übermorgen“ wurde brillant von Larissa Malevannaja am BDT inszeniert.
Gute Aufführungen gab es am Malyi Theater – am Europatheater in
Petersburg, sowie in Tscherepovez, Simferopol, Jerewan und dem Theater der Baltischen Flotte in
Petersburg.
Ein
alltägliches Zimmer in einem alltäglichen Haus. Neben einer breiten
Doppelbettliege – das Telefon. Auf dem Fußboden und den Stühlen
liegen Schachteln, Einkäufe, Pakete, Kleider usw. herum. ER und SIE. sind
auf der Liege. Küsse, Umarmungen.
SIE. Bist du
glücklich mit mir?
ER. Ja
SIE. Sehr?
ER. Sehr.
SIE. Ich auch.
Kaum zu glauben, dass es so etwas gibt.
Leidenschaftliche
Umarmungen. Das Telefon schrillt. Sie drückt ohne Hinzusehen den Anruf
weg. Erneutes Klingeln, SIE. schaut ärgerlich auf das Telefon.
Wie ich das satt habe. Es klingelt seit heute früh.
ER. Stell es ab.
SIE. Du
weißt doch, dass das nicht geht. (Sie
nimmt den Hörer.) Ja, Mama, ich hab dich doch gebeten – keine
Gäste. Ich will das nicht. Basta. Und letztendlich: wessen Hochzeit ist
das – deine oder meine? (Wirft den
Hörer hin..) Ich hasse diese albernen Rituale, Zeugen, Taxi,
Fotografen, Ringe, ein Haufen unbekannter Leute – ein Blödsinn, stimmt`s?
ER Stimmt
SIE. Eine Hochzeit
ist doch die Angelegenheit von Zweien, stimmt`s?
ER. Stimmt.
SIE. Und doch
muss man das alles durchmachen.
ER Letzten
Endes, die Gäste sind nicht das wichtigste.
SIE. Ja. (Umarmt ihn.) Liebst du?
ER. Ich liebe dich.
SIE. Sehr?
ER Sehr.
SIE. Ich auch.
Langer Kuss.
Telefonklingeln.
ER. Schalt es
doch ab, verflixt noch mal.
SIE. Heute
geht das nicht. Das weißt du doch. (Sie
nimmt den Hörer ab.) Hallo, ja Tante, Nein, geh allein, mir ist nicht
nach Shopping. Ich hab viel zu tun. Ich hab einen Berg Arbeit. Bitte halte mich
nicht davon ab. (Legt den Hörer auf.)
Komm zu mir.
ER. Stelle
erst das Telefon ab.
SIE. Du
weißt doch- heute nicht. Ein Haufen Anrufe.
ER. Darum muss
man es ja abschalten.
SIE. Na gut, schalte
du es ab.
ER. (Er streckt sich nach dem Hörer, lässt
aber seinen Blick über die Liege schweifen.) Hast du eine neue Liege?
SIE. Merkst du
das jetzt erst?
ER. Nein,
wieso. Als ich hereinkam.
SIE. Sie wurde
heute morgen gebracht. Gefällt sie dir nicht?
ER: Nein,
wieso denn. Eine ausgezeichnete Liege.
SIE. Dein
Gesicht sieht so anders aus.
ER. Ich sehe
aus wie immer.
SIE. Die alte
war zu schmal.
ER. Ich verstehe.
SIE. Die hier
ist bequemer, stimmt´s?
ER. Stimmt. Wo
habt ihr denn die alte hingebracht?
SIE. In
Mutters Zimmer. Hör auf, so streng zu gucken, zieh die Schnur heraus und
komme zu mir.
ER. Wie sieht
deine Mutter aus?
SIE. Sie ist
sehr schön
ER. Siehst du
ihr ähnlich?
SIE. Nein
ER. Du bist
aber auch schön.
SIE. Wirklich?
ER. (Umarmt sie.) Ich werde noch
verrückt nach dir. Ich habe heute die ganze Nacht nicht geschlafen, hab
mir immer vorgestellt, wie wir...
Das Telefon
klingelt
SIE. Ich hab
dich doch gebeten, es abzuschalten.
ER. Hebe nicht
ab.
SIE. Jetzt
mach ich es schon. (In den Hörer.)
Hallo, Danke, Vielen Dank, Danke. Ja, das Kleid ist fertig, Danke, Auf
Wiedersehen. (Legt den Hörer auf.) Sie
haben gratuliert.
ER. Hab ich
mir gedacht. Ach, ich hab dich noch nicht im Brautkleid gesehen.
SIE. (Lebhaft.)
Soll ich es mal anziehen?
ER. Na klar,
Und vergiss den Ring nicht.
SIE. Gut (Sie springt von der Liege, steckt den Ring
an und zeigt die Hand.). Gefällt er dir?
ER. Ist er
nicht zu breit?
SIE. Solche werden
heute getragen
ER. Wenn sie
getragen werden, dann trag ihn auch.
SIE. Dir
gefällt er nicht?
ER. Doch.
Schließlich ist der Ring - nicht die Hauptsache.
SIE. Und jetzt
das Kleid. (Vorsichtig nimmt sie das
Kleid vom Bügel und zieht es an.). Na, wie ist es?
ER. Traumhaft.
SIE. Und von
hinten.
ER. Traumhaft.
SIE. Gut das
es nicht weiß ist, richtig?
ER. Richtig.
SIE.
Später werde ich es ins Theater und zu Besuch anziehen.
ER. Darf man
dich umarmen?
SIE. Lieber
nicht. Du drückst es.
ER. Ich bin
vorsichtig.
SIE. Warte.
Ich ziehe es lieber aus. (Sie zieht Kleid
und Schuhe aus.) Jetzt umarme mich.
ER. Nimm auch
den Ring ab.
Sie nimmt den
Ring ab. ER umarmt sie leidenschaftlich. Das Telefon klingelt.
(Ärgerlich.) Der Apparat ist völlig
verrückt. Klingelt und klingelt.
SIE. Wahrscheinlich
ist er eifersüchtig. (Sie nimmt den
Hörer.) Hallo. Mama, ich schaffe alles, wenn du nicht immer mit deinen
Anrufen störst. Die Zeit drängt, ich habe zu tun, doch du kommst mir
andauernd dazwischen. (Legt den
Hörer auf..)
ER. Übrigens,
wann ist die Trauung?
SIE. Morgen,
das weißt du doch.
ER. Ich sprach
von der Uhrzeit.
SIE. Um drei,
Und warum?
ER. Bloß
so.
SIE. Wir
müssen wirklich etwas tun. Wir haben nur noch wenig Zeit
ER. Gib mir
erst mal etwas zu essen.
SIE. Du hast
Hunger?
ER. Nein, mir
gefällt es nur, wenn du mir etwas zu essen gibst.
SIE. (Vor Freude errötend.) Wirklich?
ER, Ja,
wirklich.
SIE. Setz dich.
ER. Setzt sich
an den Tisch. (Sie wirft einen Kittel
über und macht sich daneben zu schaffen.) Was guckst du?
ER. Ich schau
dir gern zu.
SIE. Warum?
ER. Deine
Bewegungen sind zärtlich und präzise.
SIE.
Erzähl keinen Quatsch.
ER. Es gefällt
mir, wenn du für mich etwas machst.
SIE. Ich mache
gern etwas für dich
ER. Darf man
dich küssen?
SIE. Iss.
ER. Weißt
du, wenn es mir mit dir am wohlsten ist?
SIE. Dort? (Sie nickt zur Liege.)
ER. Nein. Wenn
du dich um mich kümmerst. Übrigens, dort auch.
SIE. Und mir
wenn wir spazieren gehen und du mir etwas erzählst.
ER. Und dort? (Er nickt in die gleiche Richtung.)
SIE. Über „Dort“ rede ich gar nicht erst.
Das Telefon
klingelt. Sie nimmt den Hörer ab.
Hallo (Spricht leise.). Ja,
mein Schatz. Hab viel zu tun. Ich bringe die Vorhänge an. Sie müssen
gekürzt und eingesäumt werden... Mir steht die Arbeit bis zum Hals.
Küßchen (Sie legt den
Hörer auf.)
ER. Störe
ich dich nicht bei deinen Gesprächen?
SIE. Nein.
ER. Ich kann
in die Küche gehen.
SIE. Quatsch.
Ich schalte lieber das Telefon aus. (Sie
schaltet das Telefon ab und legt es zur Seite.) Lecker?
ER. Sehr.
SIE. Willst du
mehr?
ER. Her damit.
Sie (Indem sie ihm die Speise auflegt.) Ich
werde mich jetzt wirklich mal mit den Vorhängen befassen.
ER. Ohne geht
es wohl nicht?
SIE. Ich muss
doch erklären, was ich den ganzen Tag gemacht habe.
ER. Gibt es
hier wirklich Arbeit für einen ganzen Tag?
SIE. Kleinkram.
Für 10 Minuten. (Sie säumt die
Vorhänge.)
ER. Wie
schnell du arbeitest.
SIE. Ich mache
alles schnell. Wie gefallen dir die Vorhänge?
ER. Habt ihr
die gemeinsam gekauft?
SIE. Ja.
ER. Ein angenehmer Stoff.
SIE. Farblich
passend zur Tapete.
ER. (Nachdem er die Wände angeschaut hat.)
Gestern war diese Tapete noch nicht da.
SIE. Wir haben
sie gestern Abend geklebt. Gefällt sie dir?
ER. Sehr gute
Tapete. Wohnt er schon hier?
SIE. Noch
nicht.
ER. Ihr haltet die Anstandsregeln ein?
SIE. Möchtest
du denn, dass er schon umzieht?
ER. Will gar
nichts. Doch warum liegt sein Hemd hier?
SIE. Hab ich
ihm neulich gekauft. Gefällt es dir?
ER. Ein ganz
niedliches Hemd. Mir sind aber helle lieber.
SIE. Ein
helles habe ich auch gekauft. Er braucht auch noch Wäsche, aber davon
verstehe ich nichts. Kennst du dich mit Männerwäsche aus?
ER. Ein wenig.
SIE. Könntest
du zwei Paar von der besseren Sorte kaufen?
ER. Na klar,
welche Größe hat er?
SIE. Er ist
ein bisschen voller als du. Aber ich werde darauf achten, dass er abnimmt. Ich
werde ihn mit Obst ernähren.
ER. Du wirst
eine fürsorgliche Ehefrau.
SIE. Ist das
schlecht?
ER. Das ist
gut.
SIE. Iss.
ER. Ich esse
doch. Hast du das für ihn zubereitet?
SIE. Nein,
für dich.
ER. Kann aufessen?
SIE. Ja,
kannst du
ER. Und was
hast du für ihn zubereitet?
SIE. Für
ihn koche ich ab übermorgen.
ER. Und was macht ihr morgen?
SIE. Iss.
ER. Ich esse.
SIE. Die Beine
der Liege wackeln. Kannst du sie nicht irgendwie festmachen?
ER. Ich
versuch es. Gib mir einen Schraubenzieher.
SIE. Iss erst
einmal auf.
ER. Ich bin
schon fertig. Unglaublich lecker.
SIE. Tee?
ER. Erst mache
ich die Liege fertig.
SIE. Dann Zeit
brühe ich den Tee. (Gibt ihm das
Werkzeug, setzt den Teekessel auf und geht zurück an ihre Näharbeit.)
Na, wie ist es?
ER. Bin gleich
fertig
SIE. So schnell?
ER. Ein paar
Schrauben anziehen – die ganze Arbeit. Fertig.
SIE geht zur
Liege und testet ihre Standfestigkeit.
SIE. Fest.
Prachtkerl.
ER. Wollen wir
sie ausprobieren?
SIE. Keine
Zeit. Die Vorhänge müssen aufgehängt werden.
ER. Erst mal
Tee.
SIE. Na klar. (Gießt Tee ein und zieht den Teller
mit Kuchen heran.) Trink.
ER. Und was
ist das?
SIE. Apfelkuchen.
ER. Selbst
gebacken?
SIE. Für
dich.
Er kostet den
Kuchen.
Schmeckt er?
ER. Sehr gut.
SIE. Wirklich?
ER. Wirklich.
Du hast goldene Hände. Ich liebe sie sehr.
SIE. Nur sie?
ER. Und alles
andere auch.
SIE. Nimm den
Kuchen mit. Ich wickle ihn ein.
ER. Brauchst
du nicht. Ich kann ihn sowieso nicht nach Hause bringen.
SIE. Wenn du
willst, gebe ich dir das Rezept.
ER. Wozu?
SIE. Du bringst
es deiner Frau bei.
ER. Sie
bäckt nicht gern.
SIE. Schade.
ER. Mir tut es
auch leid.
SIE. (Hält ihm einen Vorhang hin.) Halt
an diesem Rand fest.
ER. Wozu?
SIE. Wir
hängen sie auf. (Beide klettern auf
Stühle und hängen den Vorhang auf.)
ER. Kaufen wir
die Wäsche für ihn zusammen oder soll ich das allein machen?
SIE. Besser
zusammen.
ER. Dann
kannst du mir gleich helfen für meine Frau eine Tasche zu kaufen.
SIE. Braucht
sie eine Tasche?
ER. Ich
brauche ein Geschenk für sie.
SIE. Gibt es
einen Anlass?
ER. Geburtstag.
SIE. Will sie
eine für jeden Tag oder eine zum Ausgehen?
ER. Weiß
ich nicht.
SIE. Was ist
ihre Lieblingsfarbe?
ER. Weiß
ich nicht.
SIE. Dann
wähle ich nach meinem Geschmack.
ER. Danke.
SIE. Du kannst
wieder heruntersteigen. Ich mache das selbst zu Ende. Ist sie schön?
ER. Ja.
SIE. Und klug?
ER. Ja.
SIE. Und du
liebst sie.
ER. Nein.
SIE. Warum?
ER. Das ist
eine lange Geschichte.
SIE. Und mich?
ER. Liebe ich.
SIE. Ganz sehr?
ER. Ganz sehr.
SIE. Warum?
ER. Weiß
ich nicht.
SIE. Nicht sehr
tröstlich.
ER. Dafür
ehrlich.
SIE. (Vom Stuhl steigend.) Das war´s. (Zieht die Vorhänge zurecht.).Gefallen
sie dir?
ER. Ausgezeichnete
Vorhänge.
SIE. Und das
Muster?
ER. Einfach bemerkenswert.
SIE. Das
Zimmer sieht gleich ganz anders aus,
stimmt´s?
ER. Stimmt.
SIE. (Küsst ihn.) Danke, Liebster.
ER. Schnickschnack.
Geht ihr schon lange miteinander?
SIE. Zwei
Jahre. Du hast mir sehr geholfen.
ER. Schnickschnack.
Ich begreife nicht, wie er so lange von mit dir getrennt leben konnte.
SIE. Ist das
etwa sehr schwer?
ER. Ich zum
Beispiel kann es auch nur eine Stunde ohne dich nicht aushalten.
SIE. Weil du
mich gerade mal eine Woche kennst. In zwei Jahren wirst du ausgezeichnet
lernen, ohne mich zurecht zukommen.
ER. Ach
Quatsch.
SIE. Ehrlich
gesagt, ich hatte es nicht sehr eilig.
ER. Vielleicht
solltest du es auch jetzt nicht sehr eilig haben?
SIE. Ich
weiß nicht.
ER. Wunderbare
Vorhänge.
SIE. Das
sagtest du schon.
ER. Und
überhaupt, ein sehr gemütliches Zimmer. Nur der Kühlschrank
passt nicht her.
SIE. Ein
Hochzeitsgeschenk
ER. Warum ist
er nicht in der Küche?
SIE. Kein Platz. Dort steht Mutters
Kühlschrank.
ER. Und was
ist in den Schachteln? Auch Geschenke?
SIE. Ja. Was
ist mit dir?
ER. Nichts.
SIE. Du hast
irgendwie einen anderen Blick.
ER. Ganz
normaler Blick.
SIE. Möchtest du die Geschenke sehen?
ER. Na klar.
SIE. Hier das
scheint ein Service zu sein (wickelt das
Paket aus.) Ja. Ein Service. (Holt
einen Teller heraus.) Na was meinst du?
ER. Ausgezeichnetes
Geschirr. Übrigens, was ich dich schon immer fragen wollte: wozu heiratest
du ?
SIE. Guck mal,
was für ein Teller.
ER. Herrliches
Porzellan.
SIE. Dänisches.
Weißt du etwa nicht weshalb man heiratet?
ER. Ich
dachte, weil man sich liebt.
SIE. Hast du
aus Liebe geheiratet?
ER. Natürlich.
SIE. Und was
ist das Ergebnis?
ER. Ein
bemerkenswerter Teller. Und was ist in dieser Schachtel?
SIE. Eine
Puppe.
ER. Ich hasse
es wenn zur Hochzeit Puppen geschenkt werden.
SIE. Ich auch.
Aber diese Puppe ist einfach ein Märchen. (Sie nimmt sie aus der Schachtel.)
ER. Ja, aber
warum heiraten Frauen denn nun?
SIE. Um einen
Mann und Kinder zu haben. Guck mal, wie schön.
ER. Eine ausgezeichnete
Puppe. Möchtest du Kinder haben?
SIE. Ja,
natürlich
ER. Von ihm
oder überhaupt?
SIE. Sie
schließt die Augen und sagt „Mama“.
ER. Eine herrliche
Puppe. Ich habe dich gefragt - von ihm oder überhaupt?
SIE. Weder noch.
ER. Wie denn
dann?
SIE. Denk mal
nach.
ER. (Hat begriffen, umarmt sie.) Du bist
verrückt.
SIE. Natürlich
bin ich verrückt.
ER. Und
deshalb liebe ich dich wie verrückt.
SIE. Und ich
dich. Das ist ein Küchenset: Gabeln, Löffel, Kellen…
ER. Sehr
praktisch. Ich sage dir jetzt eine altmodische Wahrheit...
SIE. Und eine
Schürze noch dazu.
ER. Eine ausgezeichnete
Schürze. Man darf nicht ohne Liebe heiraten.
SIE. Wieso
ohne Liebe? Er liebt mich.
ER. Das ist
nicht wichtig.
SIE. Gerade
das ist die Hauptsache.
ER. Binde dich
nicht an einen Fremden.
SIE. Was
heißt Fremder? Er ist mir wie ein naher Verwandter.
ER. Wie dein
Bruder.
SIE. Wie mein
Mann. Ich gehe schon zwei Jahre mit ihm.
ER. Du wirst
mit ihm nicht glücklich
SIE. Wenn ich
dich nicht kennengelernt hätte, vielleicht.
ER. Liebst du ihn?
SIE. Er passt zu mir.
ER. Liebst du
ihn?
SIE. Ich liebe
dich.
Pause. Sie tut so als ob sie die Schachteln ordnet.
ER. Vielleicht
hörst du mal auf, dich mit den Schachteln abzugeben.?
SIE. Entschuldige,
ich mache das ohne zu denken. (Gibt ihm
ein gerahmtes Bild.)
ER. Das nächste
Geschenk?
SIE. Ja.
Hänge es an die Wand, wenn es nicht zu schwierig ist.
ER. Also
morgen Nacht bist du mit ihm zusammen?
SIE. Ja.
ER. Und alle
Nächte danach auch?
SIE. Ja.
ER. Das ist
widerlich und gemein.
SIE. Und was
schlägst du vor?
ER. Nichts. (Hängt das Bild auf.) Guck mal. Ist
es gerade?
SIE. Hebe es
an der linken Seite etwas an. Ja, so. Gut. Nehmen wir an, ich heirate nicht.
Was dann?
ER. Ich
weiß nicht.
SIE. Wie du es
sagst, so mache ich es. Punkt.
ER. Du musst
selbst entscheiden.
SIE. (Traurig.) In diesem Fall habe ich
schon entschieden.
ER. Na das ist
wunderbar.
SIE. Kein
schlechtes Bild, stimmt´s?
ER. Einfach
super.
SIE. Nimm es
bitte ab.
ER. Wieso?
SIE. Ich bitte
dich.
Er nimmt das
Bild ab.
SIE. Und jetzt
nehmen wir die Vorhänge ab.
ER. Wieso?
SIE. Es muss
sein. Ich habe einfach vergessen, dass wir in diesem Zimmer nicht wohnen
können.
ER. Wer ist
„Wir“?
SIE. Du kannst nicht und ich auch nicht.
ER. Und warum du
nicht?
SIE. Mutter
möchte nicht, dass wir hier wohnen.
ER. Er mag deine Mutter nicht oder deine Mutter
mag ihn nicht?
SIE. Verstehst
du, Mutter ist ein sehr guter Mensch...
ER. Und er?
SIE. Er ist
auch ein guter Mensch.
ER. Aber diese
guten Menschen wollen nicht zusammen wohnen.
SIE. Aber es
geht nicht um sie. Ich möchte auch allein leben.
ER. Du
möchtest dein eigener Herr sein?
SIE. Ja. Ist
das schlecht?
ER. Nein, das
ist gut.
SIE. Was
rätst du mir?
ER. Zieht
auseinander.
SIE. Hilfst du
mir, eine Wohnung zu suchen?
ER. Natürlich.
Aber warum willst du das nicht zusammen mit ihm machen?
SIE. Er ist
sehr unpraktisch.
ER. Ich auch.
SIE. Du
weigerst dich?
ER. Nein.
SIE. Wohnt
deine Schwiegermutter bei euch oder woanders?
ER. Woanders.
SIE. Und wie
sind deine Beziehungen zu ihr?
ER. Gut.
SIE. Und mit
deiner Frau?
ER. Mit der
sind sie auch gut.
SIE. Lebt ihr
auch getrennt?
ER. Nein,
zusammen.
SIE. Schade.
ER. Mir tut es
auch leid.
Pause.
SIE. Also los,
nehmen wir die Vorhänge ab.
Sie klettern
auf die Stühle und nehmen den Vorhang ab.
Es ist gleich ungemütlich geworden, stimmt´s?
ER. Ja.
SIE. Es muss aufgeräumt werden. Meine Mutter
kommt bald.
ER. Schon?
SIE. (müde.)
Wie schnell ist der Tag verflogen.
ER. Ja.
SIE. Steck alle die Schachteln irgendwo hin.
ER. Warum
versteckst du das Telefon im Kühlschrank?
SIE. (Verstört.) Mechanisch.
ER. Übrigens,
es hat lange nicht geklingelt.
SIE. Ach, ich
habe ja vergessen, dass es abgeschaltet ist. (Schaltet
das Telefon ein. Sofort klingelt es. Sie nimmt den Hörer ab.) Ja, ja, Schatz. Nein, komm heute nicht. Ich bin sehr
müde. Sei nicht traurig. Wir haben das ganze Leben vor uns. Nein, geh nicht zum Friseur: Die
verschandeln dich. Na gut, komm abends vorbei. Ich werde dir selbst die Haare
schneiden. (Legt den Hörer auf.)
ER. Du
schneidest ihm selbst die Haare?
SIE. Ja. Was
ist daran schlecht?
ER. Nein, das ist gut.
SIE. Was ist
mit dir, Liebster?
ER. Nichts.
SIE. Deine
Stimme ist ganz anders.
ER. Eine ganz normale Stimme. Ich sehe, du
nennst alle gleich.
SIE. Überhaupt
nicht. Er ist „Schatz”, und du – Liebster.
ER. Das ist
das Gleiche.
SIE. Du
verstehst gar nichts
ER. Ich war
früher immer der Meinung das auf den Mann oder die Frau eifersüchtig
sein dumm ist.
SIE. Und
jetzt?
ER. Jetzt
denke ich das immer noch.
SIE. Also bist
du nicht eifersüchtig auf ihn?
ER. Ich bin
eifersüchtig. Er ist ja noch nicht dein Mann.
SIE. Also
wirst du ab morgen aufhören, eifersüchtig zu sein.
ER. Wann geht
ihr gewöhnlich zu Bett?
SIE. Gewöhnlich
sind wir noch nicht zu Bett gegangen.
ER. Und
morgen?
SIE. (Zuckt mit den Schultern.) So gegen 11.
ER. Um Elf
Null fünf rufe ich dich an und werde zwei Stunden reden.
SIE. Gut, dass
du mich warnst. Ich werde das Telefon abstellen.
ER. Ich werde
das Haus anzünden.
SIE. Ich werde
die Feuerwehr rufen.
ER. Ich sage das im Ernst.
SIE. Ich auch.
ER. Bist du
eifersüchtig auf meine Frau?
SIE. Nein. (Sieht, dass er eine Schachtel in die Hand
genommen hat.) Vorsicht! Da ist das Service drin!
ER. (Schleudert die Schachtel weg.)
SIE. Was ist
mit dir?
ER. Ich will
alles in kleine Stücke zerschlagen! Du hast nicht einen Funken Takt.
SIE. Ich
begreife nicht, warum du so böse wirst.
ER. Ich kann
alles an dir nicht leiden.
SIE. Ich
weiß, Liebster.
ER. Nenne mich
nicht Liebster!
SIE. Gut.
ER. Du bist
eine nüchterne, berechnende Spießbürgerin.
SIE. Ich
weiß.
ER. Ich kann
Spießbürgerinnen überhaupt nicht leiden.
SIE. Ich
weiß.
ER. Du hast
nur ein Ziel – ja nicht ohne Ehemann bleiben.
SIE. Willst
du, dass ich ohne Ehemann bleibe?
ER. Ich will
gar nichts. Das Lächerlichste ist, dass du mit dieser Hochzeit so zufrieden bist!
Sie schweigt.
Dein Haus baust du dauerhaft,
aber das Häuschen auf Zeit baust du aus den Resten.
Sie schweigt.
ER. Dein Mann
wird frisiert und umsorgt wie ein Rasen und ich....Warum schweigst du denn dauernd?
SIE. Mit
Worten kann man unseren Knoten nicht entwirren.
ER. Du hast
einen so guten Trumpf in der Hand! Bringe ihn ins Spiel!
SIE. Ich
spiele nicht mit dir Karten.
ER. Sag, dass
ich eine Familie habe und dass du keinen anderen Ausweg hast!
SIE. Wozu?
ER. Sag, dass
du, wenn ich mit meiner Frau schlafe, das Recht hast, mit deinem Mann zu
schlafen.
SIE. Wozu?
ER. Schlag mich
auf meine schwache Stelle!
SIE. Ich will
dich nicht schlagen.
ER. Warum
forderst du nicht, dass ich meine Familie verlasse?
SIE. Willst du,
dass ich das fordere?
ER. Ich will
gar nichts!
SIE. (Nach einer Pause.) Schade, dass du
nichts willst.
ER. Ich wollte
so vieles. Ich habe den ganzen Tag gewartet, dass du sagst - „ich kann nicht“.
Dass du sagst „Ich bleibe lieber allein.“
SIE. Und was
wäre dann?
ER. Und dann
hätte ich auch alles hingeworfen. Aber dir ist alles egal. Du willst mit
einem leben, kannst aber auch mit dem anderen. Das kannst du doch?
SIE. Ich kann.
ER. Ich
würde ohne Nachzudenken meine Familie wegen einer Frau verlassen, für
die ich der Einzige auf der Welt bin. Aber du hast dich nicht einmal
entschieden, die Hochzeit aufzuschieben. Nicht einmal um einen Tag.
SIE. Du
weißt doch dass ich bereit bin, mich von ihm zu trennen.
ER. Ja. Wenn
dir sofort eine Ware von besserer Qualität garantiert wird.
SIE. Aber
Liebster....
ER. Nenne mich
nicht Liebster.
SIE. Warum?
ER. Weil mir
alles an dir zuwider ist.
SIE. Ich
weiß.
ER. Du bist
die allergewöhnlichste Dirne.
SIE. Ich
weiß.
ER. Ich habe
heute die ganze Nacht nicht geschlafen – mich hat der Hass fast erwürgt.
SIE. Hast du
gedacht, ich bin eine Heldin oder ein Engel?
ER. Ich habe
gar nichts gedacht.
SIE. (Nach kurzem Schweigen.) Es ist doch
alles so einfach. Eine Woche vor der Hochzeit habe ich plötzlich zum
ersten Mal begriffen, was das ist Liebe und was das ist ein Mann. Und dieser
Mann ist nicht mein Mann. Und ich habe den Kopf verloren.
Er schweigt.
Wie viel Zeit haben wir noch zusammen? Ein paar Tage? Einige Minuten?
Er schweigt.
Ich habe ein ganzes Leben vor. Ohne dich. Und ich muss über dieses
Leben nachdenken und es organisieren. Wer, wenn nicht ich?
Er schweigt.
Die Ringe sind gekauft, das Kleid ist genäht, die Einladungen sind
verschickt, Die Verwandtschaft ist angereist... Ich allein kann nicht mehr
anhalten. Und ich weiß nicht, was du willst. Hilf mir.
Er schweigt.
Warum schweigst immer nur?
ER. Ich denke
darüber nach, wie für uns alles gut sein könnte.
SIE. (Da sie von ihm das entscheidende Wort nicht
hört, mit Bitterkeit.) Ja.
ER. Wir werden,
ohne Liebe zu umarmen.
SIE. Ja.
ER.Und werden
uns selbst ins Verderben stürzen.
SIE. Bereust du
nicht, dass wir uns begegnet sind?
ER. Nein. Und
du?
SIE. Nein.
ER. Ich liebe
dich sehr.
SIE. Ich
weiß.
ER. Was sollen
wir machen?
SIE. Gleich
kommt meine Mutter. Du musst gehen.
ER. Was hast
du entschieden?
SIE. Nichts.
ER. (Steht auf.) Auf Wiedersehen.
SIE. Warte!
Noch ein kleines Weilchen, wenigsten eine Minute!
Pause.
Sei nicht böse, dass ich dich gebeten habe, mir zu helfen.
ER. Ich bin
nicht böse.
SIE. Ich mache
so gern etwas mit dir zusammen.
ER. Ich auch.
SIE. Ich habe
mir die ganze Zeit vorgestellt, dass es für uns ist.
ER. Das hab
ich nicht gewusst.
SIE. Leb wohl,
Liebster.
ER. Werden wir
uns wiedersehen?
SIE. Denkst
du, dass das Sinn macht?
ER. Wahrscheinlich
nicht.
SIE. Noch ein
Treffen entscheidet ja nichts und hilft
in keiner Richtung.
ER. Ja.
SIE. Lohnt es
sich dann?
ER. Natürlich
lohnt es sich nicht, aber ich kann ohne dich nicht leben.
SIE. Ich auch
nicht.
ER. Also bis
morgen?
SIE. Morgen
geht es nicht, das weißt du ja.
ER. Dann
Übermorgen?
SIE. Gut.
ER. Wirst du
können?
SIE. Irgendwas
denke ich mir aus. Liebst du mich?
ER. Ich liebe
dich.
SIE. Ich dich
auch. Woran denkst du?
ER. An vieles.
SIE. Ich denke
nur an eins.
ER. Woran?
SIE. Dass es
bald übermorgen wird.
ENDE DES STÜCKES „HOFFNUNG AUF
ÜBERMORGEN“