Valentin Krasnogorov

 

 

 

 

 

 

Frauenschicksale

 

Dramolett

 

 

 

 

Aus dem Russischen von Renate Lange

 

 

 

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Handelnde Personen

 

Ältere Frau

 

Jüngere Frau

 

 

Die Handlung spielt in der heutigen Zeit.

 

 

Ein Zimmer im Krankenhaus. Ein paar Betten, Nachtschränkchen, Hocker, Notrufknöpfe, Arzneifläschchen. An der Wand ein Plakat gegen den Alkoholismus. An der Tür ein Schild: „Ruhe halten!“ Kurz gesagt, ein ganz gewöhnliches Krankenhaus.

Im Zimmer ist niemand außer einer Frau im weißen Kittel, die gerade sauber macht: sie fegt den Fußboden, wischt die Fenster ab usw. Bei dieser Beschäftigung trifft sie eine eben eintretende Zweite Frau an. Sie hat den Regenmantel unter dem Arm, hat Hausschuhe an den Füßen, trägt die Stiefel in einer Hand und eine Einkaufstasche in der anderen. Als die eintretende Frau die erste Frau (die ältere.) erblickt, fährt sie zusammen und macht ein paar Schritte rückwärts zur Tür zu. Vielleicht hätte sie sich unbemerkt wieder hinausschleichen können, aber sie lässt die Stiefel fallen und bleibt vor Schreck wie versteinert stehen.

Die Ältere Frau dreht sich um und fühlt sich offensichtlich auch nicht wohl, als sie die Eintretende sieht. Pause. Beide Frauen schauen sich vorsichtig an.

DIE JÜNGERE FRAU. Entschuldigen Sie, ich... (spricht nicht weiter.)

DIE ÄLTERE FRAU. Wer sind Sie?

DIE JÜNGERE FRAU. (Zaghaft .) Ja, ich bin … zu Besuch... für eine Minute.

DIE ÄLTERE FRAU. Bist wohl zu deinem gekommen?

JÜNGERE. (Unsicher.) Hm... Darf ich?

ÄLTERE. (Erleichtert.) Ich weiß nicht... Bleiben Sie erst einmal (Sie nimmt wieder den Besen zur Hand.)

JÜNGERE. (Setzt sich schüchtern auf den Rand des Hockers.) Nun wie ist die Arbeit und alles drumherum?

ÄLTERE. (Verwundert.) Normal.

JÜNGERE. Danke, dass Sie mich nicht wegjagen (Sucht in der Tasche und holt Geld hervor.)

Hier...

ÄLTERE. Geben Sie das etwa mir?

JÜNGERE. Nehmen Sie schon! Ihre Arbeit ist schwer und wird schlecht bezahlt. Ist es nicht so?

ÄLTERE. Das man wenig Geld bekommt, das ist richtig... (Dreht die Scheine in der Hand, weiß nicht was sie damit machen soll.)

JÜNGERE. (Nachdem sie ihr das Geld zugesteckt hat, fühlt sie sich selbstbewusster.) Mir ist so, Mütterchen, als ob ich dich hier zum ersten Mal sehe. Bist neu hier?

Die Ältere schaut sie mit Stielaugen an.

Oder bist du von einer anderen Station?

ÄLTERE. Ich bin doch nicht dein Mütterchen? Du denkst, ich bin eine Stationshilfe, nicht wahr?

JÜNGERE. Oder sind Sie Schwester? (Steht erschrocken auf.) Oder gar Ärztin?

ÄLTERE. (Beruhigend.) Ich bin überhaupt niemand. Ich bin auch zu Meinem gekommen.

JÜNGERE. (Misstrauisch.) Und der Kittel?

ÄLTERE. Ach so. Ich habe mich verkleidet. Heute ist doch kein Besuchstag. Eine Freundin hat mir geraten: zieh einen weißen Kittel an und geh beim Pförtner vorbei mit hoch erhobenen Kopf.

JÜNGERE. (Mit Erleichterung.) Ehrlich gesagt, als ich Sie sah, bin ich ganz schön erschrocken.

ÄLTERE. Ich habe auch Angst gekriegt.

JÜNGERE. (Legt die Sachen auf ein Bett.) Wo sind denn nun die Herren der Schöpfung?

ÄLTERE. (Zuckt die Schultern.) Zur Spritze oder zur Behandlung.

JÜNGERE. Ja, im Krankenhaus gibt es viele Möglichkeiten.

ÄLTERE. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie im dritten Stock Domino dreschen. Spielt Deiner?

JÜNGERE. Ja, soll ich sie holen gehen?

ÄLTERE. Nicht nötig. (Zieht den Kittel aus.) In den Fluren sieht man ja gar keine Betten mehr. Wo sind denn die ganzen Kranken hin? Sind Sie etwa alle entschlafen?

JÜNGERE. Da merkt man, dass Sie lange nicht hier waren.

ÄLTERE. Seit letztem Dienstag.

JÜNGERE. Seitdem sind viele entlassen worden.

ÄLTERE. (Nickt.) Vor den Feiertagen werden die Krankenhäuser immer leer. Dann fressen sie sich zu Hause wieder voll, schlagen sich gegenseitig die Fressen ein und schon sind sie wieder hier.

JÜNGERE. Hm. Ich hab mal auf der Hals-Nasen-Ohren Station gelegen: Dorthin haben sie zu Silvester die Leute angekarrt, man hätte sie stapeln können. Einer hat eine breit gedrückte Nase, der andere hat den Kiefer oder das Jochbein gebrochen und was weiß ich noch alles.

ÄLTERE. Und warum bist du denn dahin geraten?

JÜNGERE. Die Polypen wurden herausgeschnitten. Ich hatte eine Angst – unbeschreiblich. Ich gehe zur OP und mir entgegen bringen sie eine Frau auf der Trage. Und die hatte anstelle der Nase – nichts . Ein leerer Fleck.

ÄLTERE. (Erstaunt.) Wie kann das sein?

JÜNGERE. Einfach so. „Mörder“ - schreit sie. „Er hat mich verstümmelt. Ich verklage ihn!“ Ich habe mich auf dem Absatz umgedreht und bin zurück ins Zimmer gerannt. Ich dachte, dass sie den Arzt so beschimpft.

ÄLTERE. Wen denn sonst?

JÜNGERE. Ihren Mann. Der Arzt, hat sie sogar geheilt. Er hat ihr versprochen, eine neue Nase einzupflanzen.

ÄLTERE. Na und, ist es gelungen?

JÜNGERE. Ich weiß nicht. Ich wurde eher entlassen.

Pause.

ÄLTERE. Trinkt Deiner?

JÜNGERE. Hm. Und Ihrer?

ÄLTERE. Na, was denkst du?

Kurzes Schweigen.

JÜNGERE. Und haben Sie schon mal in der Hals-Nasen-Ohren-Station gelegen?

ÄLTERE. Nein, ich habe wegen was anderem gelegen.

JÜNGERE. Wegen was anderem habe ich auch gelegen. Zweimal. Und Sie?

ÄLTERE. (düster.) Die Finger reichen nicht, um das zu zählen. Das steht dir alles noch bevor.

JÜNGERE. Sie fassen uns nicht mit Samthandschuhen an.

ÄLTERE. Was macht ihnen das schon aus?

Pause.

JÜNGERE. Sollten wir sie vielleicht doch suchen gehen?

ÄLTERE. Es bringt nichts, wenn wir im Flur herumgeistern. Der Arzt könnte uns sehen. Es gibt bald Mittag. Da tauchen sie von selbst auf. Wir machen lieber ein bisschen Ordnung in diesem Schweinestall.

Die Frauen nehmen Lappen und Besen in die Hand. Die Ältere fährt mit dem Finger über den Rand des Nachttisches und schüttelt den Kopf.

Die Stationshilfen lassen sich offensichtlich hier überhaupt nicht sehen. Und doch wird gesagt, dass das ein gutes Krankenhaus wäre.

JÜNGERE. Das Krankenhaus kann ja gut sein, nur: in ihm wird nicht aufgeräumt.

ÄLTERE. Und sich nicht gekümmert.

JÜNGERE. Und nicht verpflegt.

ÄLTERE. Und nicht geheilt.

JÜNGERE. Dafür ist alles sozusagen kostenlos.

ÄLTERE. Von wegen: kostenlos! … der hält die Hand auf, die nächste auch usw.

JÜNGERE. Das stimmt. Sterben ist billiger.

ÄLTERE. Wenn es nur so wäre. Ich habe vor kurzem meine Mutter beerdigt. Du wirst es nicht glauben: Sie haben einen den letzten Cent aus der Tasche geholt.

JÜNGERE. Kann denn das sein, dass sie auch dafür so viel nehmen?

ÄLTERE. Und ob.

JÜNGERE. Wofür?

ÄLTERE. Für alles Mögliche. Es ist besser, man stirbt nicht.

JÜNGERE. Und wird nicht krank.

ÄLTERE. Und lebt gleich gar nicht.

Pause. Die Frauen bringen das Zimmer in Ordnung.

JÜNGERE. Und was hat Ihrer?

ÄLTERE. Herzinfarkt.

JÜNGERE. Meiner hat auch Herzinfarkt. Und welche Arznei bekommt er?

ÄLTERE. Die billigeren. Die haben doch ein Limit.

JÜNGERE. Wirklich? Das wusste ich nicht.

ÄLTERE. Ich hätte hier einen Skandal gemacht, aber es stellte sich heraus, das der Arzt ein ganz normaler Mensch ist. Er riet mir, meine Nerven zu schonen. Er gab mir eine Liste mit Arzneien. Die habe ich alle gekauft.

JÜNGERE. Wollen wir auch in den Nachtschränken aufräumen?

ÄLTERE. Eigentlich müsste man schon. Aber Meiner mag es nicht, wenn man in seinen Sachen kramt.

JÜNGERE. Meiner auch nicht.

ÄLTERE. Der hat eben so eine Marotte.

JÜNGERE. Hat es Ihrer schon lange mit dem Herzen?

ÄLTERE. Nein, nicht sehr lange.

JÜNGERE. Meiner auch nicht sehr.

ÄLTERE. Das Brot des Chauffeurs ist hart. Wirklich, als er zu Hause herumsaß, war alles in Ordnung. Aber als er anfing, auf Fernfahrten zu gehen, da hat es ihn erwischt. Die Hotels und die Kantinen haben ihn zur Strecke gebracht. Und als was arbeitet Deiner?

JÜNGERE. Auch als Chauffeur.

ÄLTERE. Meiner ist früher Bus gefahren. Aber im vorletzten Jahr hat er sich um Kopf und Kragen gebracht.

JÜNGERE. Wie das?

ÄLTERE. Er lud seine betrunkenen Kumpane in einen Bus und fuhr sie an einen Badesee. Mit Weibsbildern. Und selbst war er natürlich auch angetrunken. Und er stürzte natürlich um. Der Bus – Totalschaden. Gut, das wenigsten alle überlebten.

JÜNGERE. Und dann?

ÄLTERE. Er wurde auf einen Laster gesetzt. Das Gehalt ist natürlich nicht dasselbe.

JÜNGERE. Meiner fährt auch einen Laster.

ÄLTERE. Ich weiche ihn jetzt für alle Fälle vor einer Fahrt in kaltem Wasser ein.

JÜNGERE. Komisch, wie bei uns beiden alles übereinstimmt. Das ist richtig zum Lachen.

ÄLTERE. Was stimmt überein?

JÜNGERE. Na Chauffeur, Laster, Herzinfarkt... Und so weiter.

ÄLTERE. Was ist daran komisch. Das Krankenhaus ist doch vom Verkehrswesen. Darum liegt doch auch die ganze Chauffeursklique hier. So haben wir beide eine Menge der gleichen Sorgen . (Vertraulich.) Schlägt Er?

 Die Jüngere macht eine vage ausdrucksstarke Geste.

Meiner auch. Obwohl, nicht jeden Tag. Einfach so auf die Schnelle. Ich versuche natürlich, ihm in solchen Momenten aus dem Wege zu gehen.

JÜNGERE. Aber wo soll man den hin?

ÄLTERE. Du hast recht, man weiß nicht wohin. Und dann kommt noch die Schwiegermutter dazwischen. Sie ist ein Göbbels in Frauenkleidern. Lebt deine Schwiegermutter noch?

JÜNGERE. Ja, aber wir wohnen nicht zusammen.

ÄLTERE. Na siehst du. Da sagst du, dass bei uns alles übereinstimmt. Meine ist eine Strafe. Gib mir was zu essen, putze mich heraus, bediene mich und dann beschimpft sie mich noch. Manchmal möchte ich aus dem Fenster springen, nur mein Sohn tut mir leid.

JÜNGERE. Sie haben einen Sohn?

ÄLTERE. (Nickt.) Er geht zur Schule. Rauchen tut er auch schon. (Seufzt.) OhneVater.

JÜNGERE. Warum „ohne Vater“?  Sie haben doch einen Mann.

ÄLTERE. (Verächtlich.) „Mann“... (Zornig.) Ich habe keinen Mann!

JÜNGERE. Wieso haben Sie keinen?

ÄLTERE. Einfach so. Mein Fernsehapparat hat einen Mann, aber ich habe keinen. Er guckt sich noch die Augen aus. Er kann sich nicht losreißen.

JÜNGERE. Besonders bei Fußball und bei Serien.

ÄLTERE. Nun sag mal selbst: sind die Männer für das Familienleben geeignet?

JÜNGERE. (Nachdem sie überlegt hat, überzeugt.) Nein.

ÄLTERE. Die Familie muss man doch jeden Tag aufbauen. Und so rennst du herum, von einer Arbeit zur anderen, besorgst alles Mögliche, arbeitest wie eine Ameise, legst Sandkorn auf Sandkorn und befestigst jeden Grashalm und dann kommt dieser Elefant (sie nickt in Richtung der Betten.), trap, trap! - und du beginnst wieder von vorn.

JÜNGERE. Das ist eben unser Schicksal. Wir bauen... oder wollen bauen und sie zerstören es.

ÄLTERE. Jetzt noch diese Fernfahrten. Unser Sohn sieht ihn wochenlang nicht. Hast du Kinder?

JÜNGERE. (Widerwillig.) Nein.

ÄLTERE. Wie kann das sein?

 Jüngere antwortet nicht.

Willst du vielleicht keine?

JÜNGERE. Wieso, ich will schon.

ÄLTERE. (Zutraulich.) Das heißt, du kannst nicht?

JÜNGERE. Wieso, ich kann schon.

ÄLTERE. (Nachdem sie etwas nachgedacht hat.) Also kann Er nicht?

JÜNGERE. Er kann auch.

ÄLTERE. Woran liegt es denn nun?

JÜNGERE. Naja...

ÄLTERE. (Beleidigt.) Wenn du nicht willst, sagst du eben nichts.

JÜNGERE. Na ja es liegt daran, dass wir noch keinen Trauschein haben.

ÄLTERE. Wie geht das denn?

 Jüngere macht eine unbestimmte Geste.

Verstehe. So sind die Kerle alle. Trinken, essen, nehmen, schlafen – da kommt er im vierten Gang zu uns. Aber wenn es ums Heiraten geht – Bremse und Rückwärtsgang.

JÜNGERE. Daran liegt es nicht.

ÄLTERE. Brauchst du mir nicht zu erklären, das weiß ich selbst. Meiner hatte es damals auch nicht eilig, unter den Pantoffel zu kommen, aber ich habe ihn trotzdem eingewickelt.

JÜNGERE. (Interessiert.) Wie?

ÄLTERE. Es gibt da ein paar Tricks. Ich kann dich dann mal einweihen. Liegt Deiner schon lange hier?

JÜNGERE. Die dritte Woche.

ÄLTERE. Meiner auch die dritte Woche. Komisch, dass wir uns nicht früher hier begegnet sind.

JÜNGERE. Da ist nichts komisch. An welchen Tagen kommen Sie hierher?

ÄLTERE. Wie alle: dienstags und freitags.

JÜNGERE. Und ich mittwochs und sonnabends.

ÄLTERE. Das sind aber keine Besuchstage.

JÜNGERE. (Ausweichend.) Mir passt es so besser.

ÄLTERE. Ich besuche ihn, ehrlich gesagt, nicht oft. Mal habe ich Spätschicht, mal komme ich nicht von zu Hause fort.

JÜNGERE. Und was sind Sie?

ÄLTERE. Schon mein ganzes Leben lang bin ich Köchin. Ich bin zur Kantine gekommen, als man noch die Eierkuchen in Tiegeln gebacken hat. Nicht so wie heute, wo sie mit der Maschine gemacht werden, das man sie nicht essen kann. Heute habe ich frei und da wollte ich mal vorbeikommen, auch wenn es kein Besuchstag ist. Es war schwierig, aber ich habe mich durch geschlängelt.

JÜNGERE. Durchschlängeln ist ganz einfach. Ich bringe es Ihnen bei. Da können Sie jeden Tag kommen.

ÄLTERE. Wozu? (Schweigt etwas.) Ehrlich gesagt, Er möchte nicht gern, dass ich hier auftauche.

JÜNGERE. Meiner jagt mich auch weg.

ÄLTERE. „Lasst mich in Ruhe, ihr seid mir alle zuwider“. Aber wer sind „alle“? Die Schwiegermutter kommt nicht hierher, die kann sich selbst nicht auf den Beinen halten. Der Junge drängelt sich auch nicht, hierher zu kommen. Also heißt das, dass ich ihm zuwider bin? Da haben wir die Dankbarkeit für alles.

JÜNGERE. Meiner sagt auch: Lasst mir wenigstens im Krankenhaus ein bisschen Erholung. Aber ich komme trotzdem. Und damit er nicht böse wird, bringe ich ihm das eine oder andere. (Holt ein Gläschen mit Kompott heraus.) Hier.

ÄLTERE. Meiner kann Kompott nicht ausstehen.

JÜNGERE. Meiner auch. Das hier ist nämlich kein Kompott, sondern Wodka.

ÄLTERE. Und warum schwimmen darin Pflaumen herum?

JÜNGERE. Damit die Schwestern nicht dahinter kommen. Die kontrollieren manchmal.

ÄLTERE. Du bist ein ausgepufftes Frauenzimmer. Und warum heiratet ihr denn nicht?

JÜNGERE. (Unwillig.) Er hat sich noch nicht von seiner ersten Frau scheiden lassen.

ÄLTERE. Also ist er verheiratet?

JÜNGERE. Er war verheiratet.

ÄLTERE. Und jetzt. Lebt er mit dir?

JÜNGERE. Hm.

ÄLTERE. Und mit ihr?

JÜNGERE. Und mit ihr auch.

ÄLTERE. Irgendwie verstehe ich das alles nicht.

JÜNGERE. (Mit weinerlicher Stimme.) Ich verstehe selbst nicht alles.

ÄLTERE. Na, na. Werde nicht sentimental. Kopf hoch!

JÜNGERE. (Schluchzend.) Sie haben es gut. Sie können hier ruhig und selbstbewusst auftreten. Und nicht nur hier, sondern überall. Und ich husche als graue Maus herum... Damit mich auch niemand bemerkt... Und so ist es immer....

ÄLTERE. (Klopft der Gesprächspartnerin mitfühlend auf die Schulter.) Alles wird gut. Du bist jung und hübsch, du hast noch alles vor dir. … Stell deinem Mann dein Kompott hin und lächle. Er kann ja jeden Moment hereinkommen und dann sieht er dich so verheult. Meiner, zum Beispiel, hasst Frauentränen wie der Teufel das Weihwasser.

JÜNGERE. Meiner auch.

Die Ältere macht sich wieder ans Sauber machen. Die Jüngere holt ihre Puderdose hervor und bringt sich in Ordnung. Danach stellt sie das „Kompott“ in einen Nachtischkasten, wobei sie dort noch aufräumt. Die Ältere sieht, wie die Jüngere in dem Nachtischkasten schaltet und waltet, und bleibt wie erstarrt mit dem Besen in der Hand stehen. Die Jüngere sieht ihre neue Freundin an und bleibt auch wie erstarrt stehen. Wie vom Blitz werden beide von einem schrecklichen Gedanken getroffen. Eine lange schweigende Szene.

ÄLTERE. Also dem bringst du dein Kompott.

 Jüngere antwortet nicht.

Danke für die Fürsorge.

JÜNGERE. Nichts zu danken.

ÄLTERE. Guck mich an, ich möchte dich genau ansehen. Oder schämst du dich?

Die Jüngere, lässt etwas Zeit vergehen, hebt aber dann mutig den Kopf.

Das heißt also, du bist seine „Fernfahrten“.

Die Jüngere schweigt.

`Er hat sich in letzter Zeit verändert. Früher hat er seine Grenzen gekannt, hat sich nicht getraut aufzumucken. Und jetzt ist er so unabhängig und überheblich geworden. Mir hätte das gleich auffallen müssen, aber hinter den Töpfen hat man doch keine Zeit nachzudenken. (Geht an die Rivalin heran.) Na, und wo schmust ihr denn miteinander? Unter dem Auto? Oder in dem gemütlichen Anhänger auf den Daunendecken unter der weichen Plane?

JÜNGERE. (Würdevoll.) Ich habe meine eigene Wohnung.

ÄLTERE. Ach, du hast sogar eine eigene Wohnung. Was bist du für eine beneidenswerte Braut (Schreit plötzlich.) Warum verdirbst du dem Mann das Leben?

JÜNGERE. Ich verderbe es doch überhaupt nicht. Im Gegenteil. Sie haben ihn unterdrückt, aber ich mache einen Menschen aus ihm.

ÄLTERE. Du machst ihn zum Alkoholiker, nicht zu einem Menschen. Das hast du schon fertiggebracht. Gott hat dir weder Verstand noch Schönheit gegeben, darum willst du den Mann mit Wodka halten, bringst ihm „Kompott“. Besser geht es schon nicht.

JÜNGERE. Ihm gefällt es.

ÄLTERE. Und die Schwestern und Pflegerinnen sind auch gut. Hätte doch wenigstens eine mal durchblicken lassen können, dass er jemanden hat, der sich um ihn kümmert. Und ich Blöde drücke ihnen noch einen Zehner in die Hand!

JÜNGERE. Also habe ich ihnen mehr zugesteckt.

ÄLTERE. Und warum bin ich dir nicht gleich auf die Schliche gekommen? Aber wie hätte ich das machen sollen? Eine die so friedfertig tut und immer „Sie“, „Sie“ sagt.

JÜNGERE. Das ist, weil Sie dreimal so alt wie ich sind.

ÄLTERE. „Dreimal“! Da kannst du gleich Achtmal sagen.

JÜNGERE. Es kann auch achtmal sein.

ÄLTERE. Wenn du es wissen willst, wir beide sind gleich alt. Fast. Vielleicht bist du ein bisschen jünger an Jahren, aber die Männer brauchen eine Frau und keine Arithmetik. Guck dich mal im Spiegel an: langweilig, grau, blass. Weder Fisch noch Fleisch, und auch keine Rosine. Ein ausgelaugter Hering.

JÜNGERE. Und ich rate Ihnen, gar nicht erst in den Spiegel zu gucken. Wissen Sie, wie er Sie nennt?

ÄLTERE. Nein. Ich will es auch gar nichts wissen.

JÜNGERE Wenn er schlechte Laune hat - meine Hexe , und wenn er gute hat ...

ÄLTER Ich sage dir doch - ich will es nicht hören.

JÜNGERE. Wenn er gute Laune hat - „“meine Vogelscheuche“. Ich habe Sie deshalb auch nicht gleich richtig eingeordnet, weil er Sie als Monster dargestellt hat und Sie einigermaßen gut aussehen. Für Ihr Alter natürlich. Wahrscheinlich waren Sie ihm trotz Ihrer Puppengrösse sympathisch – vor zwanzig Jahren.

ÄLTERE. Warum sollte ich eine Bohnenstange sein wie du? Und mit meinem Mann spiele ich nicht Basketball.

JÜNGERE. Und ich spiele wohl nach Ihrer Meinung Basketball?

ÄLTERE. Ich sehe, du wirst neben allem anderen auch noch frech. Sonst würde ich sagen – junge Jungfer, die sich einem Alten an den Hals wirft.

JÜNGERE. Wieso ist er ein Alter? Wir sind fast gleichaltrig.

ÄLTERE. Interessant. Wenn es um mich geht, dann bin ich dreimal so alt, wenn es um ihn geht, dann heißt es „gleichaltrig“. Ich bin übrigens viel jünger als Meiner.

JÜNGERE. Ich werde bald dreißig, und er ist erst vierzig.

ÄLTERE. Achteinhalb.

JÜNGERE. Was „Achteinhalb“

ÄLTERE. Er ist jetzt Achtundvierzig einhalb. Und noch genauer zweiundfünfzig.

JÜNGERE. Das stimmt nicht. Er sieht jünger aus.

ÄLTERE. Denkst du, ich weiß nicht, wie alt mein Mann ist?

JÜNGERE. Er hat gesagt: Vierzig. Mit Schwänzchen.

ÄLTERE. „Hat gesagt“... Hast du die Ohren gespitzt: Das Schwänzchen steht für zwölf Jahre. Hat er dir den Personalausweis gezeigt?

 Die Jüngere schüttelt verneinend den Kopf.

Da haben wir es ja. Wenn die Männer auf ihren Schwanz hören, dann verheimlichen sie ihr Alter genauso gut wie die Frauen. Aber das hilft ihnen nichts. Jahre kann man unter den Tisch fallen lassen soviel man will. Aber die männliche Kraft wird nicht nach der Sprache beurteilt.

JÜNGERE. Wenn Sie das meinen, dann ist Er noch ganz gut drauf.

ÄLTERE. Ja? Da hast du mir eine Freude gemacht!

JÜNGERE. Mir reicht es jedenfalls.

ÄLTERE. Du brauchst nicht viel.

Kurze Pause.

Na gut, heute reicht´s, aber morgen? Er ist eben kein Junge mehr.

JÜNGERE. Ich sehe nicht 100 Jahre in die Zukunft. Ich will heute leben.

ÄLTERE. Na leb´ doch. Bloß warum mit Meinem? Oder brauchst du unbedingt einen Mann mit ausgereiftem Herzinfarkt? Kannst du nicht warten, bis er sich den mit dir aneignet?

JÜNGERE. Besser mit Infarkt als mit keinem.

ÄLTERE. Willst du ihm das Bett herrichten, damit du ihm Validol geben kannst?

JÜNGERE. Ich gebe ihm, was er braucht.

ÄLTERE. Hörmal, mach keinen Blödsinn. Du mit deinen fünfundzwanzig Jahren kannst dir noch hundertmal dein Leben einrichten. Aber für mich mit meinen - egal wie viel – Jahren ist es zu spät, neu anzufangen.

JÜNGERE. Das scheint nur so, dass es leichter ist, wenn man jünger ist. Wo soll ich denn einen dreißigjährigen Bräutigam hernehmen, der schön ist, nicht trinkt und so weiter und der auch noch ledig ist?

ÄLTERE. Jetzt gibt’s genug Geschiedene.

JÜNGERE. Die Geschiedenen wachsen auch nicht auf den Bäumen. Die müssen erst dazu gebracht werden, dass sie sich scheiden lassen.

ÄLTERE. Du bist ja schrecklich aktiv. Ein Business woman.

JÜNGERE. Ich bin nicht zur rechten Zeit aktiv gewesen. Nun muss ich es wieder aufholen.

ÄLTERE. Man muss doch aber auch Mitleid haben.

JÜNGERE. Denken Sie, ich hatte nicht Mitleid mit den anderen? Mein ganzes Leben kannte ich nur das eine. Ich war blöd, dass ich zurückgetreten bin und habe mal Freundinnen, Frauen und Gott weiß, wen noch, vorgelassen. Und so bin ich unverheiratet geblieben. Und die mit den Haaren auf den Zähnen, die routinierten, die sind alle unter die Haube gekommen. So sollen jetzt die anderen Mitleid haben. Ich habe es satt. Ich will leben. Jetzt. Wie alle. Und alles soll so werden. Jetzt. Ich nehme mir meinen Teil.

ÄLTERE. Und das Gewissen?

JÜNGERE. Wieso Gewissen? Wenn Ihrer einen Seitensprung gemacht hat, war er doch dazu bereit. Das heißt, dass sowieso jemand bei ihm aufgetaucht wäre. Wenn nicht ich, dann eine andere. Dann ist es schon besser, wenn ich es bin.

ÄLTERE. Verstehst du selbst, was du redest? Da wird es einem ja vom Zuhören schlecht.

JÜNGERE. Dann hören Sie doch nicht zu. Sie zwingt niemand. Ich rede sowieso nicht mit Ihnen.

ÄLTERE. Mit wem denn sonst?

JÜNGERE. Mit mir selber.

ÄLTERE. Bist du vielleicht nicht normal?

JÜNGERE. Vollkommen normal. Ich bin einfach modern, Und Sie sind Schrott.

ÄLTERE. Dann lass auch den Schrott in Ruhe. (Nähert sich der Jüngeren.) Ich bitte dich im Guten - gib mir meinen Mann zurück.

JÜNGERE. Nein, geben Sie ihn mir. Wozu brauchen Sie ihn? Sie haben selbst gesagt, dass Sie ihn satt haben, dass Sie seiner überdrüssig sind. Sie haben ihn zwanzig Jahre benutzt – das reicht. Lassen Sie auch andere leben.

ÄLTERE. Wie leicht machst du dir das - gib ihn her und das war es. Das bedeutet, dass das Leben umsonst gelebt wurde? Ich habe die schwere Last den steilen Berg hochgezogen, habe mich zerrissen, bin gestürzt, habe mir Beulen und blaue Flecke geholt. Und doch habe ich immer auf etwas gehofft, habe immer gedacht, dass darin ein Sinn liegt, dass irgendeine Auszeichnung auf mich wartet, ein Körnchen Glück oder wenigstens eine Messerspitze Ruhe. … Und was ist nun? Nichts?

JÜNGERE. Ich möchte auch die Last ziehen.

Kurze Pause.

ÄLTERE. (Nimmt sich zusammen.) Soll ich etwa bei dir meinen eigenen Mann klauen? Wenn du dieses Goldstück haben willst – nimm ihn hin. Es kann gleich heute sein. Zusammen mit seinem halbidiotischen Mütterchen.

JÜNGERE. Sie brauchen uns nichts vorzuschreiben. Wir entscheiden alles selbst.

ÄLTERE. Wenn er nur will.

JÜNGERE. Der will. Und wie.

ÄLTERE. Und wenn ich ihn mit Gewalt zu dir jage, wird er trotzdem zu Hause sitzen wie eingemauert. Denkst du vielleicht, ich kenne ihn nicht?

JÜNGERE. Ich kenne ihn auch.

ÄLTERE. Dann erkläre mal, warum er bis jetzt nicht zu dir gezogen ist.

JÜNGERE. (Mäßigt ihren Ton.) Warum. warum.. Er möchte die Kinder nicht verlassen, deshalb.

ÄLTERE. Was denn noch für Kinder? Wir haben einen Jungen.

JÜNGERE. Nein zwei. Einen Jungen und ein Mädchen.

ÄLTERE. (Spöttisch.) Hat er dir das gesagt?

JÜNGERE. (Verunsichert.) Was ist denn?

ÄLTERE. Hast du sie gesehen?

JÜNGERE. (Erkennt ihre Niederlage.) Nein.

ÄLTERE. Dieser vierzigjährige Mann belügt dich nach Strich und Faden. Ich habe auch früher mal mit einem Verheirateten eine Affäre gehabt. Der hat mir mit vier Kindern das Gewissen in Aufruhr versetzt. Mein Gewissen war damals jung, unreif, nicht so wie heute. So habe ich es nicht ausgehalten und habe Abstand genommen. Und dann stellte es sich heraus, dass er eine einzige Tochter hatte. Nicht mal eine eigene, sondern die Tochter der Frau.

JÜNGERE. (Gelangweilt.) Trotzdem wird er mein.

ÄLTERE. Im Himmel.

JÜNGERE. Das werden wir ja noch sehen.

ÄLTERE. (Entschlossen.) Na gut, du glaubst mir nicht, da fragen wir ihn selbst.

JÜNGERE. Wie denn?

ÄLTERE. Ganz einfach. Er wird gleich kommen und wir beide stellen uns vor ihn hin und ich sage (temperamentvoll.): Du kannst wählen. Ich oder sie. Wenn du sie wählst, dann hau ab. Dorthin wo der Pfeffer wächst. Ich werde mich nicht an dich hängen.“

JÜNGERE. (Sie ist nicht begeistert von der Idee. Kalt.) Das ist genau die richtige Zeit für eine Szene. Erst haben Sie ihm den Herzinfarkt angehext und jetzt wollen Sie ihn ganz und gar ins Grab jagen.

ÄLTERE. Ich bin schuld an dem Herzinfarkt? Ich? Er war doch kerngesund, bevor er an den zwei Fronten arbeitete. Erst als die Fernfahrten mit dir begannen, hat er sich kaputt gemacht. Es fehlten die Pferdestärken.

JÜNGERE. Ihre Spitzen haben Pferdestärke.

ÄLTERE. Und vielleicht hast du ihn außerdem mit deiner Eifersucht und deiner Miesmacherei das Leben schwer gemacht. Vielleicht hast du ihm so zugesetzt, dass er dich nicht mehr sehen will.

JÜNGERE. Und Sie auch.

ÄLTERE. Kümmere dich nicht um mich. Ob er will oder nicht, er wird mich sehen. Und dann werde ich ihm den Kopf zurecht rücken und dann werden wir sehen, was er will und was nicht.

JÜNGERE. Er darf sich doch jetzt nicht aufregen. Wollen Sie ihn erschlagen? Es ist besser, wenn wir weggehen.

ÄLTERE. Dann geh doch weg, wenn du so fürsorglich bist.

JÜNGERE. Gehen Sie doch selber. Ich habe es nicht eilig.

ÄLTERE. Hast du noch alle? Ich bin so oder so noch seine legitime Frau.

JÜNGERE. Dann kommen Sie auch an Ihrem legitimen Dienstag. Heute ist mein Tag.

ÄLTERE. (Entschieden.) Weißt du was, nimm dein Kompott – und dann Marsch die Treppe runter in schnellem Tempo. (Sie wirft das „Kompott“ in die Tasche der Konkurrentin und schlägt sie ihr ins Gesicht.)

JÜNGERE. Na, na, nicht so stürmisch. Ich kann auch mit Taschen um mich werfen.

ÄLTERE. (Geht auf Tuchfühlung an die Rivalin heran.). Wenn es sein muss, kann ich dich raus werfen.

JÜNGERE. (Nimmt Verteidigungsstellung ein.) Die Arme sind zu kurz.

ÄLTERE. Dafür sind deine zu lang. Hat keinen Eigenen, geht sie eben zum Fremden. Luder!

Die Frauen verkeilen sich ineinander. Verbissene Rauferei.

JÜNGERE. (Schwer atmend.) Er macht gleich die Tür auf. Und er hat ein krankes Herz. Gehen sie weg. Denken Sie an ihn.

ÄLTERE. Hat er an mich gedacht, als er sich mit dir eingelassen hat? Ich habe auch ein krankes Herz. Hau ab oder ich schreie das ganze Krankenhaus zusammen.

JÜNGERE. Schreien Sie nur. Mir macht das nichts aus. Sie werden uns nur auslachen.

ÄLTERE. (Keuchend.) Ich frage zum letzten Mal. Gehst du nun?

JÜNGERE. Ich denke nicht daran.

ÄLTERE. Gut, dann trage die Konsequenzen.

Sie fasst den Schrubber und wirft sich auf die Gegnerin. Die hält einen Hocker wie ein Schild vor sich und wehrt damit die Attacke ab.

Da hast du...Und hier... Da...

Plötzlich stöhnt die Ältere, fasst sich ans Herz und kämpft nicht weiter. Die Jüngere lässt den Hocker nicht aus der Hand und betrachtet die Konkurrentin misstrauisch.

JÜNGERE. Was haben Sie?

 Die Ältere antwortet nicht, steht, und greift zitternd nach dem Schrubber.

Was ist mit Ihnen? (Lässt den Hocker fallen.)

Ältere stützt sich auf den Schrubber wie auf eine Krücke, humpelt schwankend zum nächsten Bett und setzt sich. Die erschrockene Jüngere läuft zu ihr.

JÜNGERE. Geht es Ihnen nicht gut? Es ist das Herz, nicht wahr?

Ältere fällt kraftlos auf das Kissen. Die Jüngere rennt zum Nachttisch, nimmt ein Arzneifläschchen heraus, träufelt ein paar Tropfen in ein Glas mit Wasser und gibt es der Älteren zu trinken.

JÜNGERE. Na wie ist es, besser?

Die Ältere antwortet nicht. Die  Jüngere atmet schwer, hält sich auch die Hand auf das Herz und drückt den Schwestern-Notruf. Einmal, zweimal, dreimal... Ohne Ergebnis.

ÄLTERE. (Mit schwacher Stimme.) Dumme Kuh...

JÜNGERE. (Fährt zusammen.) Was? Sie haben etwas gesagt?

ÄLTERE. (Heiser, mit Mühe.) Dumme Kuh... (Versucht, sich aufzusetzen.) Ich sage, du bist eine dumme Kuh. Wer ruft denn die Schwester mit diesen Knöpfen? Hast du schon mal erlebt, dass die Knöpfe in Ordnung waren?

JÜNGERE. Ich gehe gleich selbst.

ÄLTERE. Nicht nötig. (Setzt sich vorsichtig auf.) Es scheint besser zu sein.

JÜNGERE. (Seufzt, wischt sich den Schweiß von der Stirn, trinkt den Rest Medizin aus dem Glas und lasst sich kraftlos auf den Hocker fallen. Beide Frauen bringen ihre Kleider und Frisuren in Ordnung.)

ÄLTERE. (Fast friedlich.) Sag mir nun mal im Guten, warum hast du dich ausgerechnet an Semjon angehängt? Er passt doch gar nicht zu dir. Was hat er, dass du ihn so sehr magst?

JÜNGERE. An Semjon? Was denn für einen Semjon?

ÄLTERE. An meinen Mann, wen den sonst?

JÜNGERE. Ihr Mann heißt also Semjon?

ÄLTERE. Wie soll er denn sonst heißen?

JÜNGERE. So ein dünner, nervöser mit dunklen Haaren, grau meliert?

ÄLTERE. Ja doch!

JÜNGERE. Ist das der, der früher hier gelegen hat? (Zeigt auf das Bett, das sie in Ordnung gebracht hat.)

ÄLTERE. Was heißt hier „früher“? (Ängstlich.) Wo ist er denn jetzt?

JÜNGERE. Richtig, Sie waren ja acht Tage nicht hier.....

ÄLTERE. (Greift sich wieder ans Herz.) Was ist mit ihm?

JÜNGERE. (Lächelnd.) Nichts. Ihr Semjon ist in die Ecke umgezogen (Zeigt auf ein Bett.) und an seiner Stelle ist Anatolij. So ein blonder, kennen Sie ihn?

ÄLTERE. Etwa Schewzow?

Die Jüngere nickt.

Den muss man ja kennen. Also dann besuchst du ...ihn?

JÜNGERE. Hm.

Die Frauen schweigen betreten.

ÄLTERE. (Schaut unbestimmt zur Seite.) Nun müssen unsere Männer aber bald kommen?

JÜNGERE. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern. (Nach kurzem Schweigen.) Und haben... haben sie seine Frau gesehen?

ÄLTERE. Na klar.

 JÜNGERE. Na und; wie ist sie?

ÄLTERE. (Zurückhaltend.) Wie eben eine Frau so ist.

JÜNGERE. Ist sie hübsch?

ÄLTERE. Wem es gefällt. (Etwas zugänglicher.) Mir persönlich gefällt sie nicht.

JÜNGERE. Sagen Sie ihr bitte nichts von mir, gut?

ÄLTERE. Bin ich vielleicht blöd?

Kurze Pause.

(Zögernd.) Du kommst doch an den geschlossenen Tagen hierher...

JÜNGERE. Na und?

ÄLTERE. Also hast du hier vielleicht jemanden getroffen, der … zu Semjon....

JÜNGERE. Ich achte nicht darauf, wer zu wem geht. Ich habe genug mit meinen Schwierigkeiten.

ÄLTERE. Das ist klar. Na ja, aber trotzdem. Mach doch wenigstens eine Andeutung.

JÜNGERE. Ich weiß wirklich nichts. Ehrenwort. (Schweigt kurz.) Aber es ist besser für Sie, wenn Sie an den geschlossenen Tagen nicht herkommen.

ÄLTERE. (Verfinstert sich.) Meinst du wirklich?

JÜNGERE. Natürlich! Wozu sollten Sie? Aber ich weiß wirklich nichts. Nicht, dass Sie denken!

ÄLTERE. Ich denke auch nicht. (Fängt an, nachzudenken.)

Pause.

JÜNGERE. Und Meiner hat wirklich zwei Kinder?

ÄLTERE. Einen Jungen und ein Mädchen.

Das Gesicht der Jüngeren verfinstert sich.

Sei nicht traurig. Es wird schon alles gut werden. Du bist eine junge Frau, hast noch keine Falten, und die Hauptsache: für ihn bist du etwas Neues.

JÜNGERE. Ich bin doch nicht mehr neu für ihn. Wir sind schon ein Jahr zusammen. Ich bin ihm schon über.

ÄLTERE. (Lacht bitter.) „Ein Jahr“... Eine Ehefrau muss mit ihm Seite an Seite zehn, zwanzig oder dreißig Jahre leben... Da muss man sich ja gegenseitig anekeln. Du wirst schon sehen: Er wird seine Vogelscheuche verlassen.

JÜNGERE. Er geht nicht weg. Sie regen sich umsonst auf. Können die Männer heutzutage überhaupt Entscheidungen treffen?

ÄLTERE. Selbst können sie das nicht, dafür entscheiden andere für sie. Solche Umtriebige, Schlaue...

JÜNGERE. Nein, die Familie ist und bleibt die Familie, die kann man nicht so leicht verlassen. Und wozu auch? Nehmen Sie zum Beispiel Meinen. Jetzt hat er ein Zuhause, seine Kinder und uns beide. Wenn es anders wäre, wäre ich ganz allein. Ich verstehe das schon. Und bei den anderen ist es auch so. Also, machen Sie sich keine Sorgen. (Seufzt.) Bei Ihnen wird alles gut. (Streichelt der Älteren die Schulter.)

ÄLTERE. (Wischt eine Träne weg.) Nein, nein für dich wird alles gut...

Beide Frauen trösten einander.

 

Ende des Dramoletts „Frauenschicksale“