Valentin Krasnogorov

 

 

 

 

 

Das Duett

 

Dramolett

 

 

 

 

Aus dem Russischen von Renate Lange

 

 

 

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Handelnde Personen:

 

 

ANNA

TAMARA

 

 

Ein gemütliches, sehr geschmackvoll eingerichtetes und in idealer Ordnung gehaltenes Zimmer. Anna und Tamara, zwei junge, hübsche Frauen (die sich jedoch nicht ähnlich sind), singen harmonisch im Duett und begleiten sich auf dem Klavier.

 

ANNA und TAMARA. (Singen gemeinsam.)

Abend wird es wieder

Über Wald und Feld.

Säuselt Frieden nieder

Und es ruht die Welt.

ANNA. (Unterbricht das Spiel und den Gesang.) Es geht schon auf Acht.

TAMARA. Bleib ganz ruhig sitzen. Du bist erschöpft. Ich mache alles allein.

 ANNA. Ich bin überhaupt nicht erschöpft. Du bist diejenige, die Erholung braucht. Du hast doch so viel in der Küche gewirtschaftet.

TAMARA. Das Abendbrot bereiten ist für mich das reinste Vergnügen.

ANNA. Und für mich ist es ein Vergnügen, die Wohnung in Ordnung zu bringen.

TAMARA. Und trotzdem: du siehst ein bisschen müde aus.

ANNA. Das denkst du bloß. Das einzige, wovon ich müde werde, ist die Erholung. Seitdem wir zusammen sind, habe ich so viel freie Zeit, nur, weil du mehr als die Hälfte der Arbeit übernommen hast.

TAMARA. Anna, meine Liebe, du übertreibst.

ANNA. Nein, Tamara, kein bisschen. Ich verstehe nicht, wie ich früher alles allein geschafft habe.

TAMARA. Viktor hat mir gesagt, dass du alles ausgezeichnet gemeistert hast.

ANNA. Ja, ich habe es gemeistert. Aber ich habe mich nicht wie eine Frau, sondern wie ein Arbeitspferd gefühlt. Ich bin dir so dankbar.

TAMARA. Wofür?

ANNA. Dafür, dass du einverstanden warst, hierher zu ziehen.

TAMARA. Anna, meine Liebe, ich muss dir danken.

ANNA. Rede keinen Unsinn. Mir hat die Befreiung von den Alltagssorgen, die Frische der Gefühle, der Kitzel in den gegenseitigen Beziehungen gefehlt...

TAMARA. Und mir – die Geborgenheit in der Familie und die Zuverlässigkeit.

ANNA. Ich bin jetzt so ruhig und so glücklich.

TAMARA. Ich auch.

ANNA. und TAMARA. (Singen zusammen.)

…So in deinem Streben

bist, mein Herz, auch du...

 

TAMARA. Was hast du für eine schöne Stimme!

ANNA. Und du begleitest wunderbar.

TAMARA. Aber ich muss jetzt wohl doch den Tisch decken.

ANNA. (Steht entschlossen auf.) Nicht du, sondern ich.

TAMARA. (Versöhnlich.) Wir könnten es doch auch gemeinsam machen.

ANNA. Tamara, du hast - wie immer – recht. Zu zweit wird alles fröhlicher.

Beide Frauen decken den Tisch. Ihre Bewegungen sind ruhig und ausgeglichen, voller Würde und Fraulichkeit.

TAMARA. (Legt eine schneeweiße Tischdecke auf.) Dir steht diese Frisur sehr gut.

ANNA. (Wirft einen Blick in den Spiegel.) Das kommt mir selbst so vor. Viktor hat mich gestern Abend sogar kritisiert, dass ich nicht früher auf die Idee gekommen bin, die Haare offen zu tragen.

TAMARA. Und was hast du ihm geantwortet?

ANNA. Ich habe ihm gestanden, dass ich es auf deinen Rat hin gemacht habe. (Sie stellt Porzellan und Kristall auf den Servierwagen.) Brauchen wir tiefe Teller?

TAMARA. Nein, es gibt keine Suppe. Nur Salat, kalten Fisch, Pilze, Braten und Souflé.

ANNA. Ziehst du dich um, bevor Viktor kommt?

TAMARA. Vielleicht .

Tamara zieht sich um, Anna deckt den Tisch.

Nun, wie sehe ich aus?

ANNA. Einfach umwerfend!

TAMARA. Ich habe dieses Kleid angezogen, weil es – dein Geschenk ist.

ANNA. Und die Hauptsache ist, dass Viktor das Kleid sehr mag.

TAMARA. Er mag darin deinen Geschmack.

ANNA. Nein, er liebt dich in dem Kleid.

TAMARA. Ich weiß nicht, ob ich die Chrysanthemen oder die Nelken hinstellen soll.

ANNA. Ich denke, die Nelken. Viktor hat einmal gesagt, dass er rote Blumen und weißen Wein mag.

TAMARA. (Stellt die Blumen in die Vase.) Dann müssen wir für den Wein farbige Gläser hinstellen. Was machen wir nach dem Abendbrot?

ANNA. Hast du Vorschläge?

TAMARA. Geh doch mit Viktor ins Theater oder zu Besuch.

ANNA. Und du?

TAMARA. Ich bringe die Kinder ins Bett und bleib ein bisschen bei ihnen sitzen.

ANNA. Du hast gestern auch bei den Kindern gesessen.

TAMARA. Dafür warst du die ganze vorige Woche mit ihnen beschäftigt.

ANNA. Wir machen hier keine Rechnungen auf. Heute bleibe ich zu Hause.

TAMARA. Nein, Anna, dieses Mal gebe ich nicht nach.

ANNA. Ich kann nicht widersprechen und du nutzt das oft aus. Aber jetzt kommst du damit nicht durch.

TAMARA. Entschuldige, aber langsam bekommst du einen schlechten Charakter.

Betretenes Schweigen. Tamara hält es als erste nicht mehr aus und umarmt Anna heftig.

Verzeih mir, meine Liebe. Ich verstehe selbst nicht, was über mich gekommen ist. Ich wollte bloß so sehr das du und Viktor wenigstens ein wenig Abwechslung habt. Aber wenn du möchtest, gehe ich auch selbst mit ihm. Sei nur bitte nicht böse, gut?

ANNA. Worüber soll ich böse sein. Ich war ja selbst so dickköpfig. Natürlich gehe ich mit ihm, wenn du das möchtest. Aber du bist auch nicht beleidigt, wenn ich dich um einen Gefallen bitte?

TAMARA. Du machst mir damit nur eine Freude.

ANNA. Löse mich bitte abends ab. Heute bin ich ja eigentlich dran, aber ich bin doch etwas erschöpft.

TAMARA. Also doch erschöpft.

ANNA. Ein klein wenig.

TAMARA. Gut, meine Liebe. Ich habe heute auch keine große Lust, aber ich kann dir doch die Bitte nicht abschlagen. Und jetzt setz dich in den Sessel und ruhe dich aus. (Nimmt Anna die Gabeln und Löffel aus der Hand, setzt sie in einen Sessel und deckt selbst den Tisch weiter.).

ANNA. Ich will es vor dir nicht verheimlichen. Ich habe mich gestern mit Viktor gestritten.

TAMARA. Gestritten? Weswegen?

ANNA. Mir schien es, als ob er dir gegenüber etwas kälter geworden sei. Natürlich konnte ich mich nicht halten und habe ihm die Leviten gelesen. Er war natürlich beleidigt.

TAMARA. Anna, meine Liebe, du solltest wegen so einer Kleinigkeit deine Beziehungen mit ihm nicht verschlechtern.

ANNA. Für mich ist das keine Kleinigkeit. Ich sehe doch, dass zwischen euch sozusagen das Tischtuch zerschnitten ist.

TAMARA. Das wirst du gleich verstehen. Vorige Woche habe ich ihm vorgeworfen, dass er dir weniger Aufmerksamkeit schenkt als du verdienst. Er hat mich um Verzeihung gebeten, aber ich wollte ihn ein wenig bestrafen, indem ich ihm die kalte Schulter zeigte.

ANNA. Ich fürchte, wir haben beide eine Dummheit gemacht.

TAMARA. Vielleicht. Einen geliebten Menschen muss man schützen und ihn nicht mir Vorwürfen auf die Palme bringen.

ANNA. Und trotz alledem: Danke, dass du mich verteidigt hast.

TAMARA. Und du – mich.

ANNA. Ich zweifle nicht an deinen edlen Absichten.

TAMARA. Du bist in allem mein Vorbild.

ANNA. Wie merkwürdig, dass ich dich früher gehasst habe.

TAMARA. Und ich – dich. Komisch, nicht wahr?

ANNA. Und doch ist es natürlich. Wir haben uns ja nicht gekannt.

TAMARA. Und während dessen war das Wichtigste in unserer Situation, uns zu erkennen und zu verstehen.

ANNA. Und als wir das verstanden hatten sind wir sofort diesen Weg gegangen und haben uns gleich angefreundet.

TAMARA. Weil wir viele Gemeinsamkeiten haben.

ANNA. Ja. Und wir beide lieben Viktor.

TAMARA. Und er – uns.

ANNA. Wie dumm war es, dass wir früher versucht haben, ihn uns gegenseitig zu entreißen!

TAMARA. Das ist wahr. Die Hauptsache in der Liebe ist doch – zu lieben und nicht sich etwas anzueignen.

ANNA. Das Schlimme ist nur, dass alle Frauen besitzen wollen.

TAMARA. Ich fürchte, wir sind keine Ausnahme. Mir ist, zum Beispiel, der Gedanke sehr angenehm, das Viktor unser Viktor ist.

ANNA. Mir auch.

TAMARA. Ich bin überzeugt, dass er uns nicht betrügt.

ANNA. Weil wir ihm auch treu sind.

TAMARA. Übrigens, gerade heute hat mich ein Mann auf der Straße angemacht.

ANNA. Na und du?

TAMARA. Habe ihn abblitzen lassen.

ANNA. Interessant. Wie hast du das gemacht?

TAMARA. Auf die altmodischste Weise. Ich habe gesagt, dass ich eine anständige Frau bin und meine Mann liebe.

ANNA. Und er verschwand?

TAMARA. Auf der Stelle. Die Ehemänner schätzen vielleicht treue Ehefrauen, aber die Männer mögen treue Frauen nicht.

ANNA. Wir haben es gut, aber Glückliche haben auch immer Neider.

TAMARA. Hattest du irgendwelche unangenehmen Gespräche?

ANNA. Na ja. Nichts besonderes. Nur die Nachbarin...

TAMARA. Ein vulgäres Frauenzimmer. Was will die denn wieder von uns?

ANNA. Sie wollte mich ausfragen.

TAMARA. Und du?

ANNA. Ich musste ihr eine Lektion in gutem Ton erteilen. Liebe ist die Sache von dreien. Da dürfen sich keine Fremden einmischen.

TAMARA. Sag mal... Liebst du Viktor sehr?

ANNA. Ja natürlich. Und du?

TAMARA. Ich auch, aber...

ANNA. Aber, was?

TAMARA. Aber ich weiß nicht, ob ich ein gemeinsames Leben mit ihm aushalten würde, wenn ich seine Einzige wäre.

ANNA. Vielleicht hast du Recht. Ich weiß ja aus eigener Erfahrung , wie schwer das ist.

TAMARA. Das ist nicht schwer, das ist einfach unmöglich. Er hätte mich, wenn ich allein wäre, schon längst verlassen. Monotonie ist nichts für einen Mann.

ANNA. Übrigens, wir müssen immer daran denken. Wir dürfen in nichts gleich sein, sonst liebt er uns nicht mehr.

TAMARA. Tun wir nicht auch so alles, was wir können? Da du eine Brünette bist, wurde ich zur Blondine. Du kleidest dich fraulich, ich habe den sportlichen Stil übernommen.

ANNA. Das ist zu wenig. Wir müssen dafür sorgen, dass wir uns auch innerlich unterscheiden.

TAMARA. Ich verstehe dich nicht ganz.

ANNA. Nun zum Beispiel: wenn du dir einen fröhlichen, leichten Charakter aneignest, dann muss ich tiefsinnig und nachdenklich wirken.

TAMARA. Und welche Frauen lieben die Männer mehr?

ANNA. Mal die, mal die.

TAMARA. Gut, dann werde ich leichtlebig und du ernst.

ANNA. Wir können ja später tauschen.

TAMARA. Wenn wir schon über Abwechslung sprechen, dann dürfen wir das Wichtigste nicht vergessen.

ANNA. Was meinst du damit?

TAMARA. (Schlägt die Augen nieder.) Du hast, glaube ich, mal gesagt, dass er dich gern auf den Hals küsst.

ANNA. (Schlägt die Augen nieder.) Ja.

TAMARA. Wenn das so ist, muss ich ihm die Schulter hinhalten.

ANNA. Du hast recht. Dieses Thema müssen wir sehr gründlich diskutieren.

TAMARA. (Lässt ihren Blick über den gedeckten Tisch schweifen.) Es ist offensichtlich alles in Ordnung.

ANNA. Irgendwie scheint sich Viktor zu verspäten.

TAMARA. Hoffentlich ist nichts passiert?

ANNA. Beruhige dich. Du neigst dazu, dich über Kleinigkeiten aufzuregen.

TAMARA. Ich weiß. Gestern zum Beispiel, als du lange weg warst, habe ich mir plötzlich vorgestellt, dass du überfahren wurdest. Und ich dachte: wie könnten wir ohne dich sein? Mir wäre fast schlecht geworden.

ANNA. (Umarmt lächelnd Tamara.) Wie du siehst: ich lebe noch und bin gesund und munter.

TAMARA. Vielleicht gehen wir ihm entgegen?

ANNA. Ach wir musizieren lieber noch. Das beruhigt dich.

Tamara setzt sich ans Klavier. Anna legt ihre Arme um Tamaras Schultern und singt mit ihr.

TAMARA und ANNA. (Singen.)

Abend wird es wieder

über Wald und Feld

säuselt Friede nieder

und es ruht die Welt.

Es klingelt an der Tür.

ANNA. Da ist Viktor.

TAMARA. Endlich.

Beide Frauen gehen mit den gleichen gemessenen und fließenden Schritten zum Spiegel und bringen ihre Frisur in Ordnung.

Ich gehe öffnen.

ANNA. Brauchst du nicht. Er hat einen Schlüssel. Wir wollen ihn lieber mit Musik begrüßen. Er hat es gern, wenn wir zusammen singen.

Beide Frauen nehmen wieder ihre Plätze am Klavier ein.

ANNA und TAMARA. (Gemeinsam.)

Nur der Bach ergießet,

sich am Felsen dort…

 

 

Ende des Dramoletts „Frauenschicksale“